NACHRICHTEN

Point marchés 21.10.2022

Weniger Geld für die Märkte

 

Prof. Dr. Jan Viebig Global Co-CIO ODDO BHF


 

Dank der sog. „Quantitativen Lockerungsmaßnahmen“ ihrer Notenbanken schwimmen die Banken der westlichen Industrieländer in Liquidität. Zwar haben die Zentralbanken zinspolitisch eine deutliche Wende vollzogen, doch mit dem gewaltigen Überhang an Zentralbankguthaben der Kreditinstitute tun sich die Geldpolitiker schwer. Fasst man die Guthaben auf den laufenden Konten bei der Europäischen Zentralbank (EZB) und in der Einlagenfazilität zusammen, verfügen die Banken im Euroraum derzeit über gigantische 4,9 Billionen Euro an liquiden Mitteln. In den USA addieren sich Reserveguthaben und Forderungen aus der sog. Overnight Reverse Repo-Fazilität sogar auf 5,6 Billionen US-Dollar (siehe Abb. 1). Dieser Überhang an liquiden Mitteln schafft einen Anreiz zur Ausweitung des Aktivgeschäfts und zur Geld- und Kreditschöpfung. Ein solcher Impuls passt aber nicht ins wirtschaftliche Umfeld, denn im Kampf gegen die Inflation sollte die monetäre Expansion gebremst werden.

 

 

Allzu weit sind die Notenbanken mit dem Abbau der Liquidität bisher jedoch nicht gekommen. Die US-Notenbank hatte im Mai beschlossen, fällig werdende Anleihen nicht mehr vollständig zu ersetzen. Der Plan sah vor, von Juni bis August monatlich 47,5 Mrd. US-Dollar und ab September monatlich 95 Mrd. US-Dollar Nettotilgungen vorzunehmen. Damit würden Anleihebestände und Liquidität innerhalb des ersten Jahres um rund 1 Billion US-Dollar verringert. Damit sind die US-Notenbanker ihren Kollegen in Europa zwar einige Schritte voraus, doch der tatsächliche Rückgang der Anleihebestände liegt deutlich unter Plan (siehe Abb. 2).

 

Rechnerisch hätten die Bestände der Fed Ende September um 122 Mrd. US-Dollar niedriger sein sollen als sie sind. Die Federal Reserve Bank of New York erklärt diesen Umstand vor allem mit den inflationsbedingten Wertsteigerungen von inflationsindexierten Staatsanleihen im Bestand der Fed und mit unerwartet geringen Tilgungen bei den Mortgage Backed Securities (MBS).

 

Die Bank von England (BoE) hat beim „Quantitativen Straffen“ einen klassischen Fehlstart hingelegt. Am 21. September 2022 hatte die BoE angekündigt, ihre Anleihebestände im Verlauf der 12 Monate bis Ende September 2023 um insgesamt 80 Mrd. Pfund – rund 10 % des Bestandes – reduzieren zu wollen. Schon wenige Tage später, kurz vor dem Start der Anleiheverkäufe, folgte der Rückzieher. Nach Bekanntgabe der mittlerweile kassierten Steuersenkungspläne der Regierung Truss („Mini-Budget“) kam es an den britischen Anleihemärkten zu massiven Verwerfungen. Die Bank of England sah sich daher genötigt, den Beginn der Anleiheverkäufe zu verschieben und ein neues, wenn auch zeitlich begrenztes Ankaufprogramm aufzulegen. Anfang November nun will die britische Notenbank einen neuen Versuch wagen, Staatsanleihen aus ihrem Bestand zu verkaufen.

 

Die EZB steht bei der Rücknahme der quantitativen Maßnahmen erst am Anfang der Planungen. Die Anleihekäufe im Rahmen des Pandemie-Notfallprogramms (PEPP) und des allgemeineren Anleiheankaufprogramms (APP) wurden eingestellt. Die Erlöse aus fällig werdenden Anleihen werden aber reinvestiert, so dass die Anleihebestände und insofern auch die Liquiditätsausstattung unverändert bleiben. Allerdings wird der EZB-Rat demnächst in die Beratungen über einen Beginn der „Quantitativen Straffung“ einsteigen. Am Markt erwartet man, dass der Startschuss für (Netto-)Tilgungen frühestens im Frühjahr 2023 fallen könnte. Der Fairness halber muss man allerdings ergänzen, dass fällig werdende langfristige Refinanzierungsgeschäfte im nächsten Jahr (fast 1.500 Mrd. EUR) zu einer deutlichen Reduzierung der Liquidität im Bankensystem im Euroraum beitragen sollten.

 

 

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